10. Sonntag im Jahreskreis
Die Familie prägt die menschliche Gesellschaft, seit Menschengedenken. Sie ist aber auch immer wieder Veränderungen und Wandlungen unterworfen. Gerade in unserer Generation erleben wir eine große Weitung des Familienbegriffs und des Bildes von Familie. Kleinfamilie, Großfamilie, Patchwork-Familie, gleichgeschlechtliche Verbindungen …
Familie prägt auch – positiv wie negativ. Wir erleben als Kinder und Jugendliche in unseren Herkunftsfamilien Traditionen, Riten, feste Gewohnheiten und müssen uns als Erwachsene entscheiden, ob wir diese Riten und Traditionen als gut empfunden haben und sie für uns selber weiter pflegen oder ob wir sie mittlerweile als belastend empfinden und sie lieber abschütteln wollen. Wir erfahren Gemeinschaft und Halt, Unterstützung und Orientierung in unserer Familie, feiern gemeinsam Feste, unternehmen vieles miteinander, geben uns Halt in schweren Zeiten.
Es gibt aber auch die negativen Erfahrungen. Wer in seiner Familie Alkoholismus, Gewalt, Missbrauch, Abhängigkeit erlebt, der läuft Gefahr, selber in diese Teufelskreise gezogen zu werden.
Auch die Familie Jesu erleben wir nicht ausschließlich heilig und heil. Immer wieder hören wir von Spannungen, Konflikten, Missverständnissen. So auch im heutigen Abschnitt aus dem Evangelium: Seine Angehörigen wollen ihn an seiner weiteren Verkündigung hindern. Sie sagen, er sei „von Sinnen“, also verrückt. Und Jesus geht noch einmal auf Distanz zu seiner Ursprungsfamilie. Für ihn gelten anscheinend die Blutsbande immer weniger.
Die neue „Familie“, die ihm vor Augen steht, gründet sich auf das Hören auf das Wort Gottes, auf den Glauben an den einen Vater im Himmel, auf das Vertrauen auf den Heiligen Geist und den Versuch eines Lebens aus diesem Glauben heraus.
Ein anderer Begriff wird ihm im Lauf der Verkündigung Jesu immer wichtiger: die Geschwisterlichkeit. In Mt 23 bringt er es auf den Punkt: Nur einer ist euer Meister. Ihr alle aber seid Schwestern und Brüder. Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater nennen, denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel.
Aber auch mit der Geschwisterlichkeit ist das so eine Sache. Auch in unseren konkreten Familien herrscht nicht immer nur reine Geschwisterliebe. Auch da gibt es Neid, Eifersucht, Heuchelei. Man geht sich aus dem Weg. Man hat sich nichts mehr zu sagen. Auch die Geschwisterlichkeit ist nicht vor Herausforderungen gefeit.
Das erleben wir aber auch in der großen Menschheitsfamilie. Nach jedem großen Krieg erleben wir die gleichen Reaktionen: So etwas darf sich nicht mehr wiederholen. Ab jetzt soll Versöhnung und Frieden unser Zusammenleben prägen.
Von dieser ersehnten Brüderlichkeit und Geschwisterlichkeit ist derzeit wenig zu spüren. Wir erleben, wie sich einzelne Völker und Nationen wieder auf sich selber zurück ziehen, sich abschotten, wieder nur ihren eigenen Vorteil suchen.
Haben die Menschen wirklich nichts gelernt? Verhallt die Sehnsucht Jesu nach dem Reich Gottes in Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden ungehört? Auch an uns liegt es, diese Sehnsucht, diese Hoffnung auf eine versöhnt miteinander lebende, geschwisterliche Gesellschaft wach zu halten und uns so als Schwestern und Brüder Jesu immer neu zu erweisen.